069.04857, New Caprica
(rund eineinhalb Wochen nach TC 14)
Strömender Regen hatte den Boden des provisorischen Zeltlagers aufgeweicht, und aus der ehemals grünen Wiese war ein unansehnlicher brauner Schlammplatz geworden. Es herrschte eine seltsame, angespannte Stimmung unter den rund achtzig Menschen, die man hier zusammengetrieben hatte, um sie für den Anfang besser im Blick zu haben. Obwohl die zahlreichen ehemaligen Crewmitglieder der gestrandeten Iason sich zwischen den Zelten bewegten und diversen Tätigkeiten nachgingen, herrschte beinahe Stille, nur unterbrochen von gelegentlichen, kurzen Unterhaltungen mit gesenkter Stimme. Niemand wollte Aufmerksamkeit auf sich lenken und allzu sehr auffallen, nun wo selbst dem letzten, optimistischsten Piloten und der fröhlichsten Deckhand klar geworden war, dass sie wirklich verloren hatten und das Leben sich nun in den von Omega diktierten Bahnen abspielen würde.
Begleitet von einigen Centurios und zwei menschlichen Soldaten marschierte die neu ernannte Lieutenant Ryback erhobenen Hauptes und mit versteinerten Gesichtszügen über den Platz, zielgerichtet auf ein an dessen Stirnseite stehendes Zelt zu. Der blanke Hass, welcher der Soldatin von den Leuten entgegen gebracht wurde, die noch vor wenigen Tagen ihre Kameraden und Freunde gewesen waren, schlug ihr förmlich entgegen. Vor dem Zelt angekommen bedeutete sie den Centurios mit knappen Gesten stehen zu bleiben und in einem lockeren Kreis um die Freifläche herum Aufstellung zu nehmen. Einer der Soldaten schlug mit der flachen Hand gegen die Plane des Zelteingangs und Ryback forderte laut und weithin hörbar: "Sellars, kommen sie raus!" Im Inneren legte Kalliope das Buch zur Seite, in dem sie gerade gelesen hatte, und kam mühsam auf die Beine. Die Behandlung durch Meinhard hatte Spuren hinterlassen, mit denen sie immer noch zu kämpfen hatte. Schlimmer war aber der Verlust der Iason und aller sinnstiftenden Tätigkeiten. Sie hatte gehofft, dass die Centurios vorbei gehen und jemand anderen terrorisieren würden, aber als sie Rybacks Stimme hörte, wurde ihr kalt. „Ja, ich komme.“, rief sie hustend und schlich langsam zum Zeltausgang. Blinzelnd starrte sie ins Licht und zu der Marine. „Sir?“, fragte sie emotionslos. Ryback packte sie wortlos am Arm, zerrte sie einige Schritte vom Zelt weg und beförderte ihre ehemalige Vorgesetzte unsanft auf die Knie.
Um die Szene herum hatte sich sehr schnell ein großer Kreis an Zuschauern gebildet, von denen nicht gerade wenige Werkzeuge wie Waffen ergriffen hatten. Die Centurios drehten sich mit mechanischem Surren zu den Menschen um, bereit, diese nötigenfalls gnadenlos zurückzutreiben. Sellars sank leise stöhnend in den Schlamm und legte ziemlich ungelenk die Arme hinter den Kopf. Die beiden Soldaten betraten derweil das Zelt und begannen, dieses gründlich zu durchwühlen. Sellars ärgerte sich augenscheinlich, dass man ihr die Schmerzen ansehen musste und lenkte ihren Blick ins Leere. Einige Kisten wurden nach draußen gebracht und dort ausgekippt, um sie einfacher durchsuchen zu können. Das angefangene Buch landete achtlos im Dreck und verschwand kurz darauf unter dem Fuß eines Centurios. Sellars seufzte leise, als sie im Augenwinkel sah, wie man das Wenige an ihrer persönlichem Habe in den Schlamm verteilte. Ihr Blick suchte nach Ryback und streifte über Skenes. Ein leises Lächeln huschte über ihr Gesicht, in der Hoffnung, dass es der Chief sehen würde. Das hier war doch nur Theater. Skenes stand nahe des Zeltes in der ersten Reihe der schweigenden Zuschauer, presste ihre Lippen zu einem schmalen Strich zusammen und versuchte, ihre Faust zu entspannen. Sie sah zu, ohne das in den Schlamm getretene Buch aus den Augen zu verlieren, und versuchte gleichzeitig, so zu tun als sei Sellars einfach nur irgendwer in der Masse der ach so glücklichen Omega-Siedler.
Ryback sah eine Weile schweigend bei der Durchsuchung zu, das Gesicht eine undurchdringliche die Maske, die früher für Terroristen und ähnliches Pack reserviert gewesen war. Sie raunzte den ehemaligen Commander schließlich an: "Wo sind Hayes und die anderen?" "Das weiß ich nicht, Sir.", Sellars schaute blinzelnd zu dem Offizier der New Caprica Security hoch und versuchte ihre Miene so gleichgültig wie möglich aussehen zu lassen. Die Marine schnaubte unwillig und setzte ein unechtes, wenig freundliches Lächeln auf. "Nein, natürlich nicht. Sie wollen mir wirklich erzählen, dass sie nichts mit den Leuten zu tun haben, die Omegas Angebot abzulehnen beschlossen haben?" Einer der Soldaten näherte sich und hielt Ryback einen Stapel Papier hin, augenscheinlich diverse private Briefe. Sie nahm das Bündel zunächst ohne hinzusehen entgegen. "Nein, Sir. Das habe ich nicht gesagt. Natürlich hatte ich bis zur Übergabe der Iason Kontakt zu meinem XO. Aber wir sind jetzt keine Soldaten der Colonial Forces mehr. Es entzieht sich meiner Kenntnis, wo sich Mr. Hayes befindet und was er macht." Kalliope wusste, dass es ein Fehler war. "Aber er hat ja schon früher Dinge ohne meine Kenntnis getan.“ Ryback holte aus und versetzte Sellars einen Schlag mit dem Handrücken ins Gesicht. "Oh, was glauben sie denn, was Hayes gerade tut?"
Ein paar Meter entfernt sog Skenes die Luft hart ein und starrte dann nach vorn. Sie hasste diese Situation und sie hasste es noch mehr, dass sie immer nur daneben stehen konnte. Vielen ging es so, der Unruhe in der hilflos starrenden Menge nach zu urteilen. Aber sie alle wussten es besser und niemand wollte in Anbetracht der nach wie vor reglos wachenden Centurios den Helden spielen.
Sellars biss die Zähne zusammen und unterdrückte einen Schmerzenslaut, trotzdem wurde ihr kurz schwarz vor Augen, als die heftige Ausweichbewegung die verheilenden Rippen bewegte. Sie atmete hastig ein und aus und rappelte sich wieder hoch. "Sich einen schönen Platz zum zelten suchen?", sie schaute den Security-Officer trotziger an, als gut war. Aber sie war nie gut darin gewesen, die Klappe lange genug zu halten, um nicht in Schwierigkeiten zu geraten. "Ich weiß es nicht, Sir. Ich spekuliere nicht sehr gerne über die Beweggründe ehemaliger Untergebener." Skenes machte einen halben Schritt nach vorn, nur um sich sofort zu maßregeln. Nur nicht auffallen, um es noch schlimmer zu machen.
Anstelle weiterer Schläge begann Ryback damit, demonstrativ die Briefe durchzusehen. Viele davon waren deutlich älter, ein recht neuer stach aber alleine schon wegen der Farbe des Papiers ins Auge. Sie überflog die von Herzchen und Blümchen umrahmten Zeilen. "Liebe Kal... ihr fehlt mir alle sehr.... Du natürlich besonders... hätte ich dir schon zum Eros-Day geben wollen..." las sie laut vor. Sellars wusste gar nicht, dass sie sich gerade so schnell bewegen konnte. Sie stand bereits, bevor sie einen klaren Gedanken gefasst hatte. "Ich denke, dass es reicht, Staff Sergeant.", sagte sie kühl. "Das hier hat nichts mit Captain Hayes und ihren Fragen über ihn zu tun!" Sie langte nach dem Brief in der Hand der Special Forces Soldatin, Tränen der unterdrückten Wut in den Augen. Ryback ließ, wohl von dem plötzlichen Kommandoton irritiert, erst mit etwas Verzögerung die Briefe fallen, packte dann aber ansatzlos Sellars Hand, drehte ihr mit einem harten Ruck den Arm auf den Rücken und rammte ihr ein Knie in den Bauch. "Wir sind nicht mehr auf der Iason," teilte sie dem ehemaligen Commander und insbesondere auch den Umstehenden laut mit. "Aber keine Sorge, sie sehen 'Cathy' bald wieder."
Skenes erstarrte und beobachtete ungläubig die Szene. Frak! Es war ein Alptraum für sie, nicht eingreifen zu dürfen und dennoch hätte sie Ryback in diesem Moment am liebsten eine Faust ins Gesicht geschlagen. Abgesehen von Skenes gab es noch einige zornige Gesichter und geballte Fäuste. Irgendwo weiter hinten wurde ein metallischer Gegenstand in eine offene Hand geschlagen.
Kalliope hörte indessen, wie jemand schrie, bis sie merkte, dass sie es selbst war und stürzte hart in den kalten Schlamm. Schmerz schwemmte jeden klaren Gedanken aus ihrem Verstand und sie starrte verschwommen auf den Boden. Sie sah, wie der Brief in den Dreck sank, das zarte Rosa mit dem Schlamm verschmolz. Nein, nicht Cathy, brüllte sie. Roberts Schwester hatte nichts, aber auch gar nichts mit der ganzen Sache zu tun. Tränen liefen über ihr Gesicht. "Bitte nicht.", murmelte sie leise zu Ryback. "Das hängt von ihnen ab", antwortete diese eisig und wandte sich ab.
Nur durch Zufall entging sie so einem heranfliegenden Stein. Viel schneller, als irgendwer reagieren konnte, schritt einer der Centurios in die Menge und zog dem als Angreifer identifizierten Crewman die metallenen Klauen über Gesicht, Hals und Brust. Die Menge zuckte kollektiv zusammen, als der Mann zusammenbrach und die Blicke, die Ryback trafen, waren womöglich schlimmer als der Stein es hätte je sein können. Diese sah derweil mit zusammengebissenen Zähnen dabei zu, wie ihre Centurios die nun wieder sehr stumme und durch den blutigen, brutalen Tod des Angreifers schockierte Menge weiter zurückdrängte. Selbst die Marine wirkte entsetzt, denn das hatte sie nicht im Sinn gehabt, als sie die Maschinen angewiesen hatte, nur auf ihren ausdrücklichen Befehl hin zu schießen. Offenbar musste sie erheblich genauere Anweisungen geben, was eine akzeptable Reaktion auf aufbegehrende Menschen war. Auf ihre aufbegehrenden Freunde und Kameraden. Sie schluckte hart und befahl knapp die Soldaten zu sich, ehe sie ohne weitere Worte, abgeschirmt von den wieder reglosen Centurios, den Platz verließ.
Skenes drängte sich im Chaos vor und las das Buch, den Brief und weitere Papiere auf, als wäre das irgendeine Aufgabe. Sie hielt den Blick gesenkt, um Tränen des Zorns zu verbergen. Zumindest wusste Sellars, wann sie liegen bleiben sollte. Sie hätte es ohnehin nicht wirklich auf die Füße geschafft. War das jetzt ihr Leben? Die Demütigung des Monats, damit die Crew nicht aufbegehrte? Damit sie das Knie vor Omega beugte? Sie dachte an ihre trotzigen Worte und fragte sich wie lange es dauern würde, bis sie wirklich brach. Es war keine Frage mehr des ob, sondern nur noch des wann. Entfernt nahm sie eine Bewegung war und tastete mit einer Hand nach dem Brief, bevor er von der Menge zertreten werden konnte. Octavia berührte sehr kurz die Hand Sellars' und flüsterte leise: "Ich kümmere mich darum, Sir", dann griff sie behutsam nach dem Brief. Flackernd glitt Kalliopes Blick zu Skenes und sie nickte dankbar. "Ich bin kein Sir mehr", nuschelte sie verschwommen und ließ den Kopf wieder in den kühlen Schlamm sinken. Skenes versuchte ein Lächeln, das ihr im Halse stecken blieb. "Ja, Sir", flüsterte sie beinahe trotzig und nahm den Brief an sich als wäre er ein Kleinod. Skenes wartete, bis Ryback und ihre verfluchten Centurios sich endlich abwandten, erst dann beugte sie sich vor und bot Sellars ihre Hand an. "Es ist vorbei... für den Moment, Sir. Lassen Sie mich Ihnen helfen." Kalliope griff dankbar nach der Hand. Stöhnend und qualvoll langsam kam sie wieder auf die Beine. Ihr Blick glitt zu der Leiche des Crewmann. "Oh nein, Specialist Tiernan.", murmelte sie traurig. Sie würde seinen Namen später in eines ihrer Notizhefte schreiben. Ohne den viel kleineren Chief zu fragen, stützte sie sich schwer auf sie und atmete ein paar Mal flach ein. "Ich glaube, dass ich jetzt alleine klar komme, Skenes.", ihre Stimme klang bemüht nüchtern. "Danke Ihnen." Skenes nickte und machte keine Anstalten, von der Seite ihres Commanders zu weichen. "Ich bringe Sie in Ihr Zelt, Sir. Der Doc hat heute Nachmittag für Sie Zeit."