075.04857 - alte Gewohnheiten
Octavia zog ihren Parka um sich und sah in den Himmel. Der Himmel war das Beste. Sie hatte sich so viele Monate danach gesehnt, wieder Wolken und Sonne sehen zu können und immer neidvoll zu den Besatzungsmitgliedern geblickt, die zu irgendwelchen Missionen geschickt wurden. Zumindest das war jetzt vorbei. Der Preis allerdings war kaum zu ertragen. Diese verfluchten Cylonen bestimmten ihr Aller Leben. Es war Octavia reichlich egal, ob es nun Nummern oder Buchstaben oder sonstwas waren. Es waren Cylonen!
Skenes blieb stehen und atmete durch. Die Besatzer sahen es nicht gern, wenn man zornentbrannt auf das Administrationsgebäude zulief. Die zierliche Frau schluckte ihren Zorn hinunter und fingerte nach ihrem Ausweis. Natürlich hatten sie ihr ein passendes „Angebot“ gemacht. Arbeit in der Administration, Verteilung von Gütern, Termine und erstaunlich viele Formulare. Es hatte sich also wenig geändert, nur dass sie nun bei jedem Schritt beobachtet wurde und dass es sehr schmerzhaft enden konnte, wenn man eine Entscheidung vorweg nahm. Sie hatte sich gefügt und führte seitdem genau das aus, was man ihr auftrug. Sie hatte nicht vor, nur einen Handschlag mehr für die Cylonen und deren menschliche Handlanger zu tun, als unbedingt nötig.
„Stehen bleiben!“, riss sie ein barscher Befehl aus den Gedanken. Skenes seufzte. Jeden Tag das gleiche erbärmliche Spiel. Sie hatte schon beim ersten Mal verstanden, dass das ein Lehrstück war, um den Beherrschten ihre Stellung klarzumachen. Sie blieb stehen und hob die Hände, damit der Omega-Idiot sehen konnte, dass sich darin nichts als der Ausweis mit ihrer Kennnummer darauf befand.
„Identifizieren Sie sich!“, bellte der Mann den nächsten Befehl.
„177150, Skenes, Octavia, Chief Petty Officer, Colonial Forces“, gab sie, immer noch viel zu wütend, von sich. Der Schlag in ihren Rücken ließ sie nach vorn taumeln.
„Es gibt keine Colonial Forces!“, belehrte sie der Wachmann, während er sich vor Skenes aufbaute und sie musterte. Octavia starrte ihn an. Sie wusste, dass sie jedesmal das Spiel verlieren würde und fragte sich, warum sie es dabei nicht belassen konnte.
„Alte Gewohnheiten, tut mir leid“, log sie. „Skenes 15837“
Dieser Widerling nickte und steckte seinen Schlagstock wieder hinter seinen Gürtel. Mit einer knappen Geste winkte er Octavia durch den Checkpoint.
Der Ablauf war immer derselbe. Skenes betrat einen großen Raum und wartete vor einem Schreibtisch auf ihre Arbeitsanweisungen. Sie versuchte, den Cylonen, der zumeist reglos in einer Ecke stand, zu ignorieren. Es gelang ihr nie. Dieses beständige Surren und der rote Schein, der irgendwo aus den Tiefen der Maschine kam, erinnerten sie an ihre früheren Begegnungen mit Cylonen. Sie waren alle schmerzhaft gewesen und sie war jedesmal verwundet geworden. Octavia dachte an dieWarriors Medal, die LTCL Sellars ihr in einer sehr kleinen Zeremonie verliehen hatte. Die Omega-Kollaborateure hatten sie bislang nicht gefunden. Es war einer dieser kleinen Siege, die die Besatzer ihr nicht nehmen konnten. Skenes lenkte ihre Aufmerksamkeit auf das hier und jetzt und bemühte sich, nicht zu lächeln, während der Mann mit der Omega-Binde am Arm seine Papiere durchsuchte. Auch das gehörte zum Spiel. Warten. Also wartete sie und nahm schließlich stoisch die ihr zugeteilten Unterlagen entgegen.
Sie setzte sich an einen der Tische im Raum und sah sich die Papiere durch. Versorgungslisten, wie so häufig. Octavia passte einige der Zahlen an. Sie achtete peinlich genau darauf, jede Anpassung mit einer Begründung zu versehen. Sie hatte gelernt, dass es nicht einmal darauf ankam, ob die Begründung korrekt war. Es kam nur darauf an, die Regeln einzuhalten: eine Änderung der Rationen musste eben begründet werden und dann von einem der Omega-Leute bestätigt werden. Keiner von denen hatte einen Überblick. Skenes nahm an, dass man sie deshalb in die Verwaltung geholt hatte. Niemand hatte Lust, sich mit solchen Dingen auseinanderzusetzen und Skenes wirkte harmlos genug, dass man ihr diese Aufgabe zuwies. Es war ihr nur recht.
Sellars war diese Woche wieder einmal zum „Gespräch“ geholt worden. Sie suchten noch immer nach dem Verfasser der Pamphlete, aber außer dem Pseudonym „Themis“ hatten sie nichts. Sie glaubten, dass Sellars etwas wusste. Skenes war sich sicher, dass der Commander nichts preis geben würde, selbst wenn sie etwas wusste. Sie wusste allerdings auch, dass Sellars für ihr Schweigen einen Preis zahlen musste.
Octavia änderte die Zuteilung von medizinischen Gütern zugunsten des Destrikts, in dem der Commander lebte. Sie würde es brauchen und natürlich setzte sie ihren eigenen Namen und ihre verhasste Omega-ID in die Zeile für den Auslieferer. Es klappte nicht immer, aber meistens ließen die Omega-Leute sie gewähren. Octavia wurde zunehmend klar, dass es Vorteile hatte ein „Schatten“ oder ein „treu folgender Hund“ zu sein. So konnte sie das bestmögliche tun. Vielleicht sollte sie beizeiten Hayes oder Nalim davon berichten. Sie verwarf den Gedanken wieder. Sie hatte keine Ahnung wo sie waren und sie wollte es auch nicht wissen. Wissen konnte in diesen Tagen gefährlich sein, zumal nicht zuletzt Ryback und ihre Leute die Crew viel zu gut kannten, es würde schwer sein, eine Lüge aufrecht zu erhalten.
Am Ende tat Skenes, was alle von ihr erwarteten. Sie nahm sich eine Liste und ging zielstrebig los. Sie hatte festgestellt, dass sie sich auf diese Art erstaunlich gut im Lager bewegen konnte und hatte vor, das auch zu nutzen...